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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 27. Mai 2015

THE GUEST (2014)

Regie: Adam Wingard, Drehbuch: Simon Barrett, Musik: Steve Moore
Darsteller: Dan Stevens, Maika Monroe, Brendan Meyer, Lance Reddick, Sheila Kelley, Leland Orser, Tabatha Shaun, Chase Williamson, Joel David Moore, Ethan Embry, AJ Bowen
 The Guest
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (7,5); weltweites Einspielergebnis: $2,4 Mio.
FSK: 18, Dauer: 100 Minuten.
Familie Peterson trauert um den ältesten Sohn Caleb, der als US-Soldat im Einsatz getötet wurde. Als einige Zeit später ein gutaussehender junger Mann namens David (Dan Stevens) vor der Tür steht, der erzählt, er habe mit Caleb gedient, sei gut mit ihm befreundet gewesen und habe dem Sterbenden versprochen, sich um seine Familie zu kümmern, bietet ihm Laura (Sheila Kelley, "Tage wie dieser …") sofort an, ein paar Tage zu bleiben und im Zimmer ihres gefallenen Sohnes zu übernachten. Lauras Ehemann Spencer (Leland Orser, "Alien – Die Wiedergeburt") ist von dem eigenmächtigen Angebot zunächst wenig begeistert, lernt David jedoch schnell als angenehmen Saufkumpan zu schätzen. Der jüngste Sohn Luke (Brendan Meyer, Hauptdarsteller der kanadischen Teenie-Sitcom "Mr. Young") himmelt David regelrecht an, nachdem ihm dieser gegen einige Rüpel aus seiner Highschool geholfen hat; lediglich die 20-jährige Tochter Anna (Maika Monroe, "It Follows") bleibt dem geheimnisvollen Fremden gegenüber skeptisch. Dennoch fügt sich der äußerst hilfsbereite David gut in die Familie ein und so werden aus wenigen Tagen Aufenthalt mehrere Wochen, auch Anna kann sich dem Charisma des stets zuvorkommenden David irgendwann nicht mehr verschließen – doch dann hört sie zufällig eine Telefonat Davids mit und beschließt, etwas über dessen Vergangenheit zu recherchieren. Eine folgenschwere Entscheidung, die eine ganze Kette fataler Geschehnisse in Gang setzt …

Kritik:
Es ist nie ohne Risiko, wenn sich ein erfolgreicher Seriendarsteller dazu entschließt, aus dem TV-Geschäft auszusteigen und sein Glück im Kino versuchen. Bei allzu vielen scheitert dieses Vorhaben ziemlich schnell, doch die zwar vergleichsweise wenigen, aber durchaus vorhandenen Ausnahmen (Michael Douglas, Bruce Willis, George Clooney) überstrahlen die enttäuschten Hoffnungen bald wieder Vergessener deutlich. In der heutigen Zeit, in der TV-Serien eine nie dagewesene qualitative Blüte feiern und auch zunehmend gestandene Kinostars anlocken, ist der Ausbruch aus einer funktionierenden Serienwelt wohl noch mutiger als er es früher war – doch es sieht so aus, als könnte der Brite Dan Stevens es tatsächlich schaffen. Bekannt wurde er als idealistischer Adelserbe Matthew Crawley in der Hitserie "Downton Abbey", aus der er 2012 nach der dritten Staffel ausstieg. Seitdem spielte er unter anderem größere Nebenrollen in namhaften Produktionen wie "Inside WikiLeaks", "Ruhet in Frieden" oder "Nachts im Museum 3", aber seine bislang beste, aufsehenerregendste Leistung liefert er in "The Guest" ab. Dem Independent-Genrefilm von Adam Wingard ("You're Next") war zwar kein großer kommerzieller Erfolg beschieden, er lief aber erfolgreich auf diversen Festivals und kann mit ausgezeichneten Kritiken protzen – in denen vor allem und vollkommen zurecht Stevens' Leistung hervorgehoben wird.
Denn Stevens gelingt es ganz vorzüglich, David als charismatischen jungen Mann mit einer natürlichen Autorität zu verkörpern, dem man leicht verfallen kann – auch wenn er einen Hang zu brutalem Vorgehen an den Tag legt (aber eben zunächst immer im Dienst des "Guten"). Gleichzeitig ist sein Verhalten von einer gewissen, nicht wirklich greifbaren Kühle durchzogen, die Annas Vorbehalte glaubwürdig macht. Daß etwas mit dem so zuvorkommenden jungen Mann nicht stimmen kann, ist für den Zuschauer offensichtlich, nur die Stoßrichtung bleibt lange rätselhaft – gibt er den, nunja, etwas überambitionierten, aber gutmeinenden Schutzengel für die Familie seines toten Freundes? Oder ist er stattdessen ein gefährlicher Soziopath mit unbekannter Motivation? Die Antwort auf diese Frage erhält man gar nicht so spät, doch bis es so weit ist, bleibt die Spannung trotz des bis dahin nicht geringen (und bemerkenswert gut mit den Suspense-Elementen harmonierenden) Humoranteils der Geschichte unheimlich hoch.
Wie so einige (im weiteren Sinne) Horrorfilme der letzten Jahre (allen voran "The Cabin in the Woods", "Insidious" oder auch "The Voices") vollzieht auch "The Guest" in der zweiten Hälfte einen deutlichen stilistischen Umschwung, wechselt eigentlich sogar die Genres. So wird aus dem anfänglich ungemein atmosphärischen und schwarzhumorigen Psycho-Thriller plötzlich, ausgelöst durch das Auftauchen von Major Carver (Lance Reddick aus der TV-Serie "Fringe"), ein ebenso rasanter wie brutaler Action-Horrorfilm, der sich als Over the Top-Hommage an die frühen Meisterwerke eines John Carpenter ("Halloween", "Die Klapperschlange") oder Brian De Palma der buchstäblich theatralische Showdown würde auch wunderbar in "Phantom of the Paradise" passen in den 1970er und 1980er Jahren gefällt. Dazu paßt der stimmungsvolle Retro-Synthesizer-Soundtrack, der in den zurückgenommenen Momenten an John Carpenters selbst komponierte minimalistische Gänsehaut-Melodien ("The Fog") erinnert, nur um (ähnlich wie Gregg Arakis "White Bird in a Blizzard") immer wieder von mitreißenden New Wave-Songs im Stil von Depeche Mode und Konsorten unterbrochen zu werden (die bekannteste tatsächlich mit einem Lied vorkommende Band sind die Sisters of Mercy).
Erfahrungsgemäß gefällt ein solch extremer Stimmungsumschwung innerhalb eines Films nicht allen Zuschauern – nicht ohne Grund haben "The Cabin in the Woods", "Insidious" und auch "The Guest" bei den für innovative Kniffs empfänglicheren professionellen Kritikern noch deutlich besser abgeschnitten als beim in dieser Hinsicht durchschnittlich eher konservativen zahlenden Publikum. Ich kann das ein Stück weit schon nachvollziehen, schließlich läßt man sich auf eine bestimmte Art von Film ein, die in diesem Fall auch noch hervorragend ausgeführt ist … nur um dann mittendrin unverhofft etwas ganz anderes präsentiert zu bekommen. Mir gefällt so etwas allerdings vorzüglich, da ich es liebe, wenn ein Film aus dem Mainstream ausbricht und auch mich als notorischen Vielseher zumindest noch ein bißchen überraschen kann. Wer die Handlungsentwicklung von "The Guest" als übertrieben und damit wenig glaubwürdig kritisieren will, dem kann ich kaum widersprechen; das Gesamtpaket "The Guest" funktioniert für mich als glänzend konstruierter Unterhaltungsfilm im Retro-Stil aber einwandfrei – zumal das Drehbuch von Simon Barrett ("Red Sands") sich in der ersten Hälfte viel Zeit nimmt, um die Hauptfiguren präzise auszugestalten und nicht nur dabei immer wieder mit gewitzten Dialogen und herrlich trockenen Onelinern von David aufwartet.

Fazit: "The Guest" startet als ein atmosphärischer Psycho-Thriller und endet als hemmungslos übertriebener Action-Horrorfilm im Stil der frühen 1980er Jahre – das dürfte manche Zuschauer etwas überfordern, aber Dan Stevens' ausgezeichnete Leistung als mysteriöser Protagonist (oder doch Antagonist?) David, ein durchdachtes Drehbuch und Adam Wingards nuancenreiche Inszenierung machen "The Guest" zu einem Highlight für aufgeschlossene Genrefans.

Wertung: 8,5 Punkte.


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