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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 22. Oktober 2014

WIE EIN WEISSER VOGEL IM SCHNEESTURM (2014)

Originaltitel: White Bird in a Blizzard
Regie und Drehbuch: Gregg Araki, Musik: Robin Guthrie
Darsteller: Shailene Woodley, Christopher Meloni, Eva Green, Thomas Jane, Shiloh Fernandez, Gabourey Sidibe, Mark Indelicato, Angela Bassett, Dale Dickey, Sheryl Lee, Jacob Artist
 White Bird in a Blizzard
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 54% (5,6); weltweites Einspielergebnis: $0,6 Mio.
FSK: 12, Dauer: 90 Minuten.
Ein amerikanischer Vorort im Jahr 1988: Das Verhältnis der 17-jährigen Kat (Shailene Woodley) zu ihrer extrovertierten Mutter Eve (Eva Green, "Sin City 2") war nie ganz einfach. Dennoch ist Kat natürlich anfangs schockiert, als Eve eines Tages spurlos verschwindet. Während ihr Vater Brock (Christopher Meloni) sich fortan zwar redlich als Alleinerziehender bemüht, aber doch die meiste Zeit über dumpf vor sich hin brütet, scheint Kat diesen Einschnitt in ihr Leben recht schnell zu akzeptieren. Mehr zu schaffen machen ihr typisch pubertäre Gefühlswallungen – und die Tatsache, daß der ermittelnde Detective Scieziesciez (Thomas Jane, "The Punisher", "Der Nebel"), zu dem sich Kat sexuell hingezogen fühlt, ihren Vater des Mordes an Eve verdächtigt. Als Kat die Highschool abgeschlossen hat und ans College geht, hofft sie, all die Vorstadt-Dramen endgültig hinter sich zu lassen – doch bei ihrer ersten Rückkehr in den Semesterferien kochen die Erinnerungen in ihr wieder hoch …

Kritik:
Es ist schon erstaunlich, wie schnell die 1991 geborene Shailene Woodley den Sprung von der Teenager-TV-Heldin ("The Secret Life of the American Teenager") zur neben Jennifer Lawrence wohl begehrtesten Schauspielerin ihrer Generation geschafft hat. Die Anfang 2012 mit einer verdienten Golden Globe-Nominierung belohnte Rolle als George Clooneys rebellische Tochter in Alexander Paynes Tragikomödie "The Descendants" reichte bereits aus, um sie ins Blickfeld der Hollywood-Produzenten zu bringen. Gut zwei Jahre später folgte der endgültige Durchbruch mit dem gefeierten und kommerziell extrem erfolgreichen Doppelpack aus der "Young Adult"-Dystopie "Divergent – Die Bestimmung" und der sensiblen Krebs-Romanze "Das Schicksal ist ein mieser Verräter". Während Lawrence seit ihrem ersten OSCAR-Gewinn für "Silver Linings" eigentlich nur noch in großen Prestige-Produktionen zu sehen ist (wenngleich teils durchaus unabhängig finanzierten), hat Woodley jedoch mehrfach betont, auch weiterhin parallel kleines, unbequemes Independent-Kino zu machen. Bleibt zu hoffen, daß sie an diesem Plan festhält, denn sowohl "The Spectacular Now" (2013) als auch "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" zeigen, wie wohl sie sich in diesem Metier abseits des Mainstreams fühlt. Und "abseits des Mainstreams" ist eine exzellente Beschreibung der Filme des Regisseurs Gregg Araki. Seit seinen Anfängen im Micro-Budget-Bereich Ende der 1980er Jahre, aber ebenfalls noch nach dem Wechsel in den relativ "normalen" Independent-Sektor mit dem Kindesmißbrauchs-Drama "Mysterious Skin" (in dem Joseph Gordon-Levitt im Jahr 2004 eine seiner ersten großen Rollen spielte) oder dem etwas anderen Collegefilm "Kaboom" (2010) spaltet Araki das Publikum durch seine stilistische und erzählerische Radikalität sowie den ungeschönten Blick auf das sexuelle Erwachen junger Menschen. "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" ist in dieser Hinsicht zwar noch vergleichsweise harmlos geraten, scheint aber dennoch zu polarisieren – ich zähle zu jenen, die sehr angetan sind.

Daß ich ein großer Freund gut gemachter Coming of Age-Filme bin, habe ich ja schon häufig kundgetan. Arakis Adaption des gleichnamigen Romans von Laura Kasischke bietet aber eine Spielart dieses kleinen Genres an, die mir so noch nicht untergekommen ist: "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" verbindet das zentrale Thema des Aufwachsens seiner Protagonistin mit einer sehr klassischen Krimihandlung rund um Eves Verschwinden. Dieser bedächtig erzählte Krimiplot läuft lange eher im Hintergrund mit, schließlich redet Kat sich selbst ein, daß das ganze halb so wild ist, sie kam ja sowieso nie wirklich klar mit ihrer Mutter. Wichtiger sind für sie die erste Liebe, der erste Sex, die gemeinsame Zeit mit ihren besten Freunden Beth (Gabourey Sidibe, "Aushilfsgangster") und Phil (Shiloh Fernandez, "Evil Dead"), aber auch die Auswahl des Colleges. Diese Szenen eines typisch amerikanischen Vorstadt-Teenagerlebens erinnern mitunter an ein kantiges, geerdeteres Gegenstück zum deutlich poetischer angelegten Genrekollegen "Vielleicht lieber morgen" – inklusive offenherziger, teilweise ordinärer Sprache und zahlreicher Sex- und Nacktszenen.

Doch je länger das Verschwinden ihrer Mutter in der Vergangenheit liegt, desto offensichtlicher wird auch dank ihrer Besuche bei der Psychiaterin Dr. Thaler (Angela Bassett, "Olympus Has Fallen"), daß Kat es noch lange nicht verarbeitet hat. Immer wieder durchlebt sie Flashbacks, Erinnerungsfetzen reißen sie zurück in die Vergangenheit – und offenbaren dem Publikum das schwierige Verhältnis zwischen Kat und Eve. Als ich im Programmheft des Fantasy Filmfests den schwärmerischen Vergleich von Eva Green mit der Hollywood-Legende Joan Crawford las, fand ich ihn ziemlich beliebig. Doch nach Ansicht des Films muß ich zugeben: Er paßt wie die Faust aufs Auge! Greens Verkörperung der ziemlich durchgeknallten und dem Alkoholgenuß zugeneigten Eve, die von ihrem biederen Hausfrauen-Dasein unendlich gelangweilt ist und ihre eigene Tochter offen um deren Jugend beneidet, erinnert (nicht nur wegen ihrer Frisur) in der Tat auf geradezu unheimliche Art und Weise an Crawfords mit genial-exzentrischem Overacting dargestellte Figuren in "Humoreske" oder dem bitteren Western "Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen" – oder auch an Elizabeth Taylor in "Wer hat vor Virginia Woolf?". Ja, man kann sehr gut nachvollziehen, warum Kat so ihre Schwierigkeiten mit Eve hatte, die auch keine Skrupel kannte, in der Anwesenheit ihrer Tochter offen mit deren Freund zu flirten. Woodleys und Greens Zusammenspiel in diesen relativ wenigen Szenen ist so wunderbar anzuschauen, daß man sich wünscht, es gäbe mehr davon.
Doch auch wenn auf diese beiden die denkwürdigsten Momente entfallen, muß sich der Rest der Besetzung keinesfalls verstecken. Vor allem Christopher Meloni zeigt als Kats Vater einmal mehr, daß es – entgegen der Erwartungen vieler Beobachter – eine gute Entscheidung war, seine Hauptrolle in der erfolgreichen TV-Serie "Law & Order: Special Victims Unit" nach 12 Jahren aufzugeben. Bereits in dem Blockbuster "Man of Steel", aber auch in "Sin City 2" (an der Seite Eva Greens) oder dem Baseball-Film "42" hat Meloni gezeigt, was er kann; auch in "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" überzeugt seine Darstellung des ambivalenten Vaters, der so sehr um seine verschwundene Frau trauert, aber hin und wieder besorgniserregende Wutanfälle an den Tag legt. Man kann gut verstehen, daß Kats anfängliche Empörung ob des von dem (von Thomas Jane mit gewohnter Souveränität verkörperten) Detective geäußerten Verdachts gegen ihren Vater nach und nach in immer stärkere Zweifel umschlägt. Diesen Krimiplot mag man etwas klischeehaft und zu konventionell finden, aber es gelingt Araki, den Zuschauer bis zum Schluß im Unklaren zu lassen – und zumindest ein Element der Auflösung dürfte kaum jemand vorhersehen können.

Doch wie gesagt: Im Zentrum von "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" steht eigentlich Kats Aufwachsen – und ihr dabei zuzusehen, macht richtig Spaß. Gerade weil Kat eben kein glattgebügelter Teenager á la Hollywood ist, sondern eine kleine Rebellin, die sich und ihre Sexualität munter ausprobiert und dabei auch (sehenden Auges) Fehler macht, wirkt sie so authentisch. Generell gelingt es Araki ausgezeichnet, das Lebensgefühl der 1980er Jahre auf die Leinwand zu bringen, unterstützt von einer stimmigen Musikauswahl mit Songs von den Pet Shop Boys, Depeche Mode oder New Order. Die durch die vielen Zeitsprünge verschachtelte Erzählstruktur mag komplexer wirken als sie es in Wirklichkeit ist, doch auf diese Weise bleibt die Handlung stets im Fluß und Kats Entwicklung vom unsicheren, wütenden Teenager hin zu einer deutlich erwachseneren jungen Frau wird umso klarer (und damit auch die hohe Qualität von Woodleys schauspielerischer Darbietung). Zudem schafft Araki mit seiner Kamerafrau Sandra Valde-Hansen gerade in Verbindung mit Eva Greens Figur Eve einige wunderschöne Kinobilder, die man nicht so schnell vergißt.

Fazit: "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" ist eine rauhe, aber elegant gefilmte Coming of Age-Geschichte mit Krimielementen, deren Story zwar bei weitem nicht so komplex ist, wie es die künstlerisch verschachtelte Erzählweise gerne suggeriert – doch die starke, von Shailene Woodley und Eva Green angeführte Besetzung und die melancholische, mystisch angehauchte Atmosphäre machen die Romanverfilmung zu einer richtig guten Option für Anhänger etwas ungewöhnlicherer Stoffe.

Wertung: 8 Punkte.


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