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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 24. September 2013

EUROPA REPORT (2013)

Regie: Sebastián Cordero, Drehbuch: Philip Gelatt, Musik: Bear McCreary
Darsteller: Michael Nyqvist, Anamaria Marinca, Sharlto Copley, Daniel Wu, Karolina Wydra, Christian Camargo, Embeth Davidtz, Dan Fogler, Isiah Whitlock Jr.
 Europa Report
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 81% (6,8); weltweites Einspielergebnis: $0,1 Mio.
FSK: 12, Dauer: 90 Minuten.
Etwa ein Jahr nach dem Start des ersten bemannten Raumschiffs mit dem Reiseziel Europa (ein Jupiter-Mond) bricht aufgrund eines heftigen Sonnensturms die Verbindung zur Zentrale auf der Erde ab. Die multinationale Crew um Commander Xu (Daniel Wu, "New Police Story") beschließt, ihre Mission dennoch fortzusetzen. Schließlich geht es um nicht weniger als den möglichen Fund von Leben auf Europa, wofür die Wissenschaftler auf der Erde im Vorfeld Indizien gesammelt hatten. Doch die weitere Reise verläuft nicht vollkommen problemlos, und als Europa endlich erreicht ist, wird auch noch der errechnete ideale Landepunkt des Orbiters knapp verpaßt, was die Sammlung von brauchbaren Daten deutlich erschwert. Dennoch wird mit der Bohrung durch das Eis begonnen, das an dieser Stelle wesentlich dicker ist als am idealen Landepunkt. Während die einzelnen Crewmitglieder erste Daten auswerten, erblickt der Ingenieur Andrei (Michael Nyqvist, "Mission: Impossible – Phantom Protokoll") durchs Fenster ganz kurz ein sich bewegendes Licht ...

Kritik:
Immer, wenn ein Weltraumfilm in die Kinos kommt, der nicht ganz eindeutig dem Fantasy- bzw. fantastischen Science Fiction-Genre zurechenbar ist (wie z.B. "Star Wars"), scheinen auf der ganzen Welt tatsächliche und selbsternannte Weltraumexperten nur darauf zu lauern, jeden noch so unbedeutenden vermeintlichen wissenschaftlichen Fehler aufzudecken und den Film deshalb zu verurteilen. Das wird bei "Europa Report" kaum anders sein, vermutlich sogar noch etwas extremer, da der Film mit seiner quasi-dokumentarischen Machart erklärtermaßen auf Realitätsnähe pocht (immerhin wurde sogar mit der NASA zusammengearbeitet). Deshalb erkläre ich an dieser Stelle lieber gleich: Mir ist das schnurzpiepegal. Erstens, weil ich mich mit der Materie schlicht und ergreifend nicht sonderlich gut auskenne, vor allem aber zweitens, weil für mich in einem Spielfilm eventuelle Abweichungen von den Fakten aus dramaturgischen Gründen absolut legitim sind. Zumindest, solange es sich nicht um wirklich dämliche Fehler handelt, von denen mir hier trotz mancher leicht fragwürdiger Verhaltensweise der Figuren aber keine aufgefallen sind (daß nicht bereits vor der Mission genau besprochen wird, was im ja nicht undenkbaren Fall eines Verlusts der Verbindung zur Erde getan wird, ist merkwürdig, aber eine Kleinigkeit). Daher bewerte ich das englischsprachige Debüt des chilenischen Regisseurs Sebastián Cordero ("Cronicas") nach den gleichen Kriterien wie alle anderen Spielfilme auch: Handlung, Figurenzeichnung, Dialoge, Technik, Musik, Schauspieler. Und deshalb kann ich klar konstatieren: "Europa Report" ist ein guter Film.

Viele Zuschauer sind ja nicht sonderlich begeistert von "Found Footage"-Filmen (auch wenn die Einspielergebnisse von Filmen wie "Paranormal Activity" anderes besagen), aber bei "Europa Report" macht das Format zur Abwechslung tatsächlich Sinn – sowohl erzählerisch als auch inhaltlich, außerdem gibt es kaum Wackelkamera-Einsatz. Ein bißchen problematisch finde ich zwar, daß man sich nicht auf einen chronologischen Ansatz verläßt, sondern immer wieder in der Zeit hin und her springt. Auf diese Weise erfährt man beispielsweise ganz zu Beginn, daß ein Mitglied der Crew relativ früh hopsgehen wird. Als man die entsprechende Szene erst wesentlich später zu Gesicht bekommt, schmälert dieses Vorwissen die Spannung natürlich erheblich. Davon abgesehen funktioniert die Erzählweise aber meist gut, auch die vor allem im ersten Drittel häufig dazwischengeschalteten rückblickenden Erklärungen des Bodenpersonals um die Missionschefin Dr. Unger (Embeth Davidtz, "The Amazing Spider-Man") fügen sich gut in die Handlung ein.

Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß in "Europa Report" im Vergleich zu typischen Hollywood-Filmen bis kurz vor Schluß ziemlich wenig geschieht. Es wird die lange Reise zum Jupiter-Mond geschildert, der zwangsläufige Lagerkoller, die leichte Panik nach dem Ausfall der Kommunikation, aber auch die Faszination von dieser Reise ins Unbekannte. Man könnte auch sagen: "Europa Report" ist die meiste Zeit über ein bißchen wie die jeweilige erste Hälfte von Sir Ridley Scotts "Alien" oder Danny Boyles "Sunshine" – nur deutlich sachlicher und vor allem ohne deren heftigen Schwenk ins Phantastische im weiteren Verlauf. Das ist für ungeduldige Naturen wohl nur schwer zu ertragen, aber wer sich auf diese Erzählweise einlassen kann, der wird mit einem faszinierenden Weltraum-Trip belohnt. Der Besatzung des Raumschiffs kommt das Publikum dabei allerdings nur bedingt näher – sie bleibt einem zum Glück nicht völlig fremd, aber man fiebert auch nicht so stark mit ihnen mit wie in "Alien" oder "Sunshine". Das liegt vor allem daran, daß sie so wunderbar, so schrecklich normal sind. Auf die typischen Rollenklischees verzichtet "Europa Report", es gibt hier keinen klassischen Stinkstiefel, keinen Charmebolzen, keine aufreizende Schönheit. Stattdessen lernt man nach und nach sechs Astronauten und Wissenschaftler kennen, die ihren Job sehr ernst nehmen und auch gut in ihm sind. Ja, das ist unspektakulär, aber es unterstreicht den quasi-dokumentarischen Ansatz von Regisseur Cordero.

Hilfreich ist, daß die Crew mit im Mainstream-Kino ziemlich unverbrauchten, aber talentierten Schauspielern aus der ganzen Welt besetzt ist. Vor allem die Rumänin Anamaria Marinca, 2007 gefeierte Hauptdarstellerin von Cristian Mungius Cannes-Gewinner "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", mausert sich zum emotionalen Zentrum der Geschichte, aber auch der Schwede Michael Nyqvist ("Millennium"-Trilogie), der südafrikanische "District 9"-Hauptdarsteller Sharlto Copley, der Hongkong-Chinese Daniel Wu, die Polin Karolina Wydra ("Crazy, Stupid, Love.") und der amerikanische Theater-Schauspieler Christian Camargo (der "Kühllaster-Killer" in der ersten Staffel der TV-Serie "Dexter") füllen ihre Rollen gut und ernsthaft aus.

Insgesamt gelingt es "Europa Report" trotz der betont unspektakulären Machart, stets die Spannung aufrechtzuerhalten – schließlich gibt es ja immer noch das große Rätselraten um mögliches extraterrestrisches Leben auf dem Mond Europa. Selbstverständlich werde ich an dieser Stelle nicht verraten, ob die Astronauten bei ihrer von der sehr hörenswerten Musik von TV-Spezialist Bear McCreary ("Battlestar Galactica", "The Walking Dead") begleiteten Suche fündig werden, aber der Film wird auf jeden Fall zu einem guten und weitgehend schlüssigen Ende gebracht. Zu diesem Ende führt allerdings ein letztes Filmdrittel, das zwar das Tempo deutlich anzieht, dann aber doch dramaturgisch etwas zu konventionell gestaltet ist, um völlig überzeugen zu können. Zwar ist es absolut verständlich, daß Autor Philip Gelatt eine gewisse Abweichung von seinem sonstigen Doku-Ansatz sucht, um die Handlung mit einem Höhepunkt abschließen zu können – wie er das konkret umsetzt, ist zwar ganz akzeptabel, allerdings mit Sicherheit nicht der Weisheit allerletzter Schluß.

Fazit: "Europa Report" ist ein gelungener Found Footage-Film, der in dokumentarischer Form konsequent nüchtern eine fiktive Weltraummission schildert und dabei statt auf spektakuläre Action vor allem auf Sachlichkeit, Realitätsnähe und gute Schauspieler setzt.

Wertung: 7,5 Punkte.


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