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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 14. August 2013

LONE RANGER (2013)

Regie: Gore Verbinski, Drehbuch: Justin Haythe, Ted Elliott, Terry Rossio, Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Johnny Depp, Armie Hammer, Tom Wilkinson, William Fichtner, James Badge Dale, Ruth Wilson, Helena Bonham Carter, Barry Pepper, Bryant Prince, Mason Cook, James Frain, Leon Rippy, Saginaw Grant, Joaquín Cosio, JD Cullum, Harry Treadaway, Lew Temple, W. Earl Brown, Stephen Root, Randy Oglesby, Gil Birmingham, Travis Hammer
 The Lone Ranger
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 31% (4,9); weltweites Einspielergebnis: $260,5 Mio.
FSK: 12, Dauer: 149 Minuten

Im Jahr 1869 kehrt John Reid (Armie Hammer, "The Social Network") voller Idealismus und Tatendrang nach vielen Jahren nach Texas zurück, wo er als neuer Staatsanwalt in seinem Heimatort Colby tätig werden soll. Colby profitiert gerade vom Bau der Eisenbahn, der von dem mächtigen Geschäftsmann Latham Cole (Tom Wilkinson, "Duplicity") vorangetrieben wird. Um zu zeigen, daß im vormaligen Wilden Westen nun Gesetz und Ordnung herrschen, hat Cole eigens per Zug den kannibalistisch veranlagten Banditen Butch Cavendish (William Fichtner, "The Dark Knight") nach Colby bringen lassen, um ihn dort publikumswirksam verurteilen und aufhängen zu lassen. Doch Butch gelingt die Flucht, die Texas Rangers nehmen die Verfolgung auf. Anführer der Rangers ist Johns älterer Bruder Dan (James Badge Dale, "Shame"), der Butch lieber direkt erschießen als vor Gericht bringen will. Um das zu verhindern, begleitet Dan die Ordnungshüter kurzerhand – und gerät mit ihnen in einen Hinterhalt. Als er wieder zu Bewußtsein kommt, wird John von einem leicht durchgeknallten Comanchen namens Tonto (Johnny Depp, "The Tourist") begrüßt, der aus sehr persönlichen Gründen ebenfalls hinter Butch Cavendish her ist ...

Kritik:
Es dürfte nicht allzu viele Filme geben, die eine ähnlich holprige Vorgeschichte hatten (und dann tatsächlich fertiggestellt wurden) wie "Lone Ranger" vom eigentlich bewährten "Fluch der Karibik"-Team Gore Verbinski (Regie), Jerry Bruckheimer (Produktion), Ted Elliott / Terry Rossio (Drehbuch), Hans Zimmer (Musik) und Johnny Depp (Hauptrolle). Noch bevor die Dreharbeiten begannen, wurde das Projekt 2011 von Disney vorübergehend auf Eis gelegt, weil man Zweifel am kommerziellen Potential hatte und das geplante Budget von $250 Mio. nicht finanzieren wollte. Das ist soweit nicht so ungewöhnlich und sogar nachvollziehbar, daß die Geschichte in aller Öffentlichkeit ausdiskutiert wurde, sollte jedoch lange nachwirken. Ab diesem Moment schleppte die Adaption einer in den USA populären Westernreihe, die als Radioproduktion begann und als TV-Serie samt Kinofilm (dessen Kenntnis einige Gags noch etwas witziger macht) zu Ruhm gelangte, das Etikett "potentieller Megaflop" mit sich herum. Als das Budget um 20 bis 30 Millionen US-Dollar reduziert werden konnten, nahm das Herzensprojekt von Johnny Depp (der auch als Produzent beteiligt ist) endlich Fahrt auf. Die Negativschlagzeilen wurde es allerdings einfach nicht mehr los. Ein Crewmitglied starb während der Dreharbeiten bei einem tragischen Unfall, Depp wurde von verschiedenen Seiten dafür kritisiert, daß er als Weißer einen amerikanischen Ureinwohner spiele (obwohl Depp entfernte indianische Vorfahren hat und vor Drehbeginn die ausdrückliche Genehmigung der Comanchen einholte), außerdem wurde befürchtet, daß Tonto entgegen der Vorlage zur eigentlichen Hauptfigur gemacht werde. Daß sowohl Depp als auch Bruckheimer in der Zwischenzeit kommerzielle Flops fabrizierten ("Dark Shadows" und "Rum Diary" respektive "Prince of Persia", "G-Force" und "Duell der Magier"), ließ den Druck nicht geringer werden. Und so kam es, wie es wohl kommen mußte. Beim US-Start waren sich die Kritiker einig, daß "Lone Ranger" einfach schlecht sei. Depps wiederholte Verkörperung einer durchgeknallten Figur á la Jack Sparrow nerve inzwischen, der Film sei außerdem viel zu lang. Kurzum: ein Flop. Eine selbsterfüllende Prophezeiung. Da kann es nicht verwundern, daß die Einspielergebnisse hinter den Erwartungen des Studios zurückblieben, selbst international – wo Depp einer der zugkräftigsten Stars überhaupt ist – war da nicht mehr viel gutzumachen. Und das ist verdammt schade, denn "Lone Ranger" entpuppt sich als zwar mit einigen Schwächen behafteter, aber durchaus unterhaltsamer Spätwestern, der wider Erwarten sogar ein bißchen zum Nachdenken anregt und in Deutschland übrigens im Schnitt deutlich bessere Rezensionen erhielt als in den USA.

Die Crux bei Filmen, die ein ehemals populäres, inzwischen aber nahezu ausgestorbenes Genre wiederbeleben wollen, ist es seit jeher, jenen schmalen Grat zu finden zwischen der selbstbewußten Spielerei mit altbekannten Motiven und der einfallslosen Kopie der großen Vorbilder. Bei "Fluch der Karibik" haben Verbinski, Depp und Co. das wunderbar hinbekommen, bei "Lone Ranger" zwar nicht ganz so gut, aber immer noch akzeptabel. Daß "Fluch der Karibik" das große Vorbild dieses Films war, ist generell unübersehbar. Hier wie dort wird versucht, eine ausgewogene Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit zu präsentieren und diese mit charismatischen Schauspielern, spektakulären Spezialeffekten und einer nicht zu komplizierten, aber fesselnden Story zu kombinieren, die an die Glanzzeiten des jeweiligen Genres zurückerinnert. "Lone Ranger" geht dabei sehr gewissenhaft vor, wie bereits in den als Prolog und Epilog dienenden Szenen ersichtlich ist, in denen der inzwischen uralte Tonto einem kleinen Jungen seine Geschichte und die des Lone Rangers erzählt. Als der als Cowboy verkleidete Junge zu Beginn von Tonto erschreckt wird, zieht er nämlich kurzentschlossen seine Spielzeugpistole und schießt mehrmals auf den alten Indianer – eine clevere Anspielung auf die aus heutiger Sicht rassistische Schwarzweiß-Malerei so vieler alter US-Western mit "guten" Cowboys und "bösen" Indianern. Und ganz am Ende, während bereits der Abspann läuft, wandert Tonto auf das berühmte Monument Valley zu, das zig Western als Kulisse diente und einen entsprechenden Wiedererkennungswert besitzt. Eine schöne, durchdachte Klammer für einen Film, der für einen Sommer-Blockbuster einen erstaunlich ungeschönten Blick auf die amerikanische Vergangenheit wirft und doch zugleich die Meisterwerke des Westerns ehrt.

Stilistisch allerdings – teilweise auch inhaltlich – erinnert "Lone Ranger" eigentlich eher an die Italowestern eines Sergio Leone ("Für eine Handvoll Dollar"). Das fängt mit der klassischen Story über die fiesen, skrupellosen und geldgierigen Eisenbahn-Magnaten an und endet mit dem erdigen, ja sogar schmutzigen Look, auf den sogar mittels Details wie dunkel verfärbter Fingernägel und Zähne geachtet wurde. Allerdings dummerweise nicht durchgehend, denn ausgerechnet Co-Hauptdarsteller Armie Hammer hat ein dermaßen perfekte, perlweiße Zähne, daß es beinahe blendet. Mit viel gutem Willen mag man das damit erklären, daß er gerade aus New York kommt, wo vermutlich bereits im 19. Jahrhundert viel stärker auf die Zahnhygiene geachtet wurde als im wilden und vor allem dreckigen Westen – aber daß damals jemand mit *solchen* Zähnen rumlief, wage ich dennoch zu bezweifeln. Angesichts der sonstigen Sorgfalt bei der Rekonstruktion eines einigermaßen authentischen, in leicht ausgewaschenen Farben gefilmten Western-Looks ist dieser kleine Anachromismus schon etwas ärgerlich – genau wie eine Szene, in der John und Tonto einer Bordellbesitzerin drohen wollen, indem sie Verstöße gegen die Gesundheitsvorschriften anprangern, die weniger nach dem 19. als nach dem 21. Jahrhundert klingen ...

Letztlich sind das aber natürlich nur Schönheitsfehler, die über weite Strecken von den Stärken von "Lone Ranger" locker überstrahlt werden. Sehr erfreulich ist beispielsweise, daß Johnny Depp keineswegs den Film dominiert, sondern mit dem relativen Newcomer Armie Hammer ein sehr amüsantes und vollkommen gleichberechtigtes Duo abgibt. Daß Depp die humoristischen Vorzüge einer solchen Figur wunderbar ausspielen kann, ist nur zu bekannt (wer davon, wie die US-Kritiker, inzwischen genug hat, der sollte einen weiten Bogen um diesen Western machen), aber auch Hammer offenbart nach "Spieglein Spieglein" erneut ein beachtliches komisches Talent und ein gutes Timing in den nicht seltenen Slapstick-Szenen. Auch ihr wunderliches Pferd "Silver" paßt sich hervorragend in dieses seltsame Gespann ein. Trotz der zahlreich eingestreuten humoristischen Szenen erzählt "Lone Ranger" seine Geschichte aber erstaunlich ernsthaft und scheut auch vor (wenngleich disneytypisch natürlich nur angedeuteten) heftigen Szenen bis hin zu einem Massaker an Indianern nicht zurück – das wird manchen Zuschauern auf der Suche nach leichter Unterhaltung wohl nicht ganz so gut gefallen, ich finde es jedoch sehr erfrischend. Auch sind die Actionsequenzen bis zum großen Finale relativ spärlich gesät. Leider wird die so gewonnene Zeit jedoch weder für eine überdurchschnittlich gelungene Figurenzeichnung jenseits der beiden Protagonisten verwendet noch für eine ausgeklügelte Story, sondern vor allem für die erwähnten Humoreinlagen. Nicht daß ich gegen diese etwas einzuwenden hätte, aber Handlung und Nebenfiguren – wie Johns Jugendliebe Rebecca (Ruth Wilson, "Anna Karenina", TV-Reihe "Luther") oder die Bordellbesitzerin Red (Helena Bonham Carter, "Sweeney Todd") – hätten definitiv deutlich mehr Sorgfalt vertragen.

Womit wir auch schon beim Grund dafür wären, warum "Lone Ranger" zwar absolut passables Sommerkino ist, aber eben doch kein Highlight wie "Fluch der Karibik": Es gibt drei erhebliche Schwächen. Die erste ist die zugrundeliegende Geschichte, womit wir wieder beim bereits angesprochenen schmalen Grat zwischen Hommage und Kopie wären. Die altbekannte Story von den bösen Eisenbahn-Geschäftsleuten, die das Militär kaufen und zugunsten des eigenen Reichtums alle und alles verraten und verkaufen, hat schlicht und ergreifend einen Bart, der länger ist als die der ZZ Top-Mitglieder zusammengenommen. Das vor allem, weil sie nicht im mindesten variiert wird und zugleich mangels wirklich überzeugender Bösewichte auch nicht ansatzweise an die großen Vorbilder á la "Spiel mir das Lied vom Tod" herankommt. Tom Wilkinson spielt seine Rolle zwar mit gewohnter Souveränität und angemessener Arroganz, als hassenswerter Überbösewicht taugt dieser Latham Cole aber kaum. Und der zweite Fiesling der Geschichte, Butch Cavendish, könnte mit seinen kannibalistischen Tendenzen diesen Platz zwar theoretisch locker einnehmen, leider wird das jedoch dadurch verhindert, daß seinem Darsteller William Fichtner zu wenig Szenen zur Verfügung gestellt werden, um das Potential seiner Figur auszuspielen – zumal er sich immer wieder von John und Tonto überrumpeln lassen muß. Das zweite große Manko ist die fehlende Balance zwischen Komik und Ernst. Wo "Fluch der Karibik" eine nahezu perfekte Mischung aus diesen beiden Elementen gefunden hat, versagt "Lone Ranger" ziemlich. Ein bißchen steht dem Film in dieser Hinsicht seine eigene Ambition im Weg, denn dadurch, daß die ernsthaften Szenen (aufgrund der US-Historie) wesentlich schwermütiger ausfallen als bei der Piratengeschichte, ist der Kontrast zwischen ihnen und den humorigen Buddy-Szenen zwischen John und Tonto einfach zu stark – zumal die Wechsel immer wieder sehr abrupt vonstatten gehen. Auf diese Weise findet "Lone Ranger" nie einen natürlich wirkenden Rhythmus, sondern wirkt eher wie zwei ziemlich unterschiedliche Filme, die gewaltsam in einen gepreßt wurden.

Die letzte große Schwäche schließlich ist die mit Abstand überflüssigste, denn vor dem großen Finale gibt es etwa eine halbe Stunde, die man im Grunde genommen hätte streichen können und sollen. Diese Zeit wird fast komplett zum pingeligen Aufdröseln der nun wirklich nicht übermäßig komplizierten Hintergründe der Story verwendet. Das langweilt tierisch, da man als halbwegs aufmerksamer Zuschauer zu diesem Zeitpunkt längst all das durchschaut hat, was einem nun noch einmal haarklein erläutert wird. Das Ganze hätte man locker in fünf Minuten komprimieren können, dann hätte "Lone Ranger" mit gut 120 Minuten genau die richtige Länge gehabt. Glücklicherweise erhält man für dieses wirklich ärgerliche Zwischenspiel umgehend eine Entschädigung in Form des Showdowns. Dieser entpuppt sich als (stilistisch stark an das "Fluch der Karibik 2"-Finale erinnernde) turbulente und virtuos choreographierte Eisenbahn-Verfolgungsjagd zu den mitreißenden Klängen von Gioachino Rossinis berühmter "Wilhelm Tell"-Ouvertüre in einer gelungenen Variation durch Filmkomponist Hans Zimmer und Geoff Zanelli. Ein herrlicher Schlußpunkt für einen etwas holprigen, aber definitiv sehenswerten Sommerfilm.

Fazit: "Lone Ranger" ist ein nostalgischer Spätwestern, der launige Buddykomödien-Elemente mit einer für einen Disney-Sommerfilm phasenweise erstaunlich ernsthaften Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit der USA kombiniert. Diese Mischung läuft etwas unrund, dank der gut harmonierenden Hauptdarsteller und der tadellosen Schauwerte hält sich der Mißmut darüber aber in Grenzen.

Wertung: Gute 7 Punkte.

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